Evaluation

Durchführung und Ergebnisse der Evaluation, sowie Schlussfolgerungen der Evaluation

Das erste große Projekt der Initiative war die Evaluation des Rechts- und Justizstandortes Bayern. Ziel war es, eine umfassende, aussagekräftige und belastbare Standortbestimmung der bayerischen Justiz zu erhalten, die die Meinung der "Kunden" der Justiz und der Bevölkerung mit einbezieht. Dahinter stand die Überlegung, dass seinen Rechtsstandort seriös nur bewerben kann, wer seine Leistungen belegen kann. Gleichzeitig können bedarfsgerechte Verbesserungsvorschläge nur entwickelt werden, wenn die Schwachstellen identifiziert sind. 

Durchführung und Ergebnisse der Evaluation

Der Kern des Projektes waren im Wesentlichen zwei aufeinander abgestimmte Umfragen:

  • Im November und Dezember 2011 wurden zeitgleich an 30 bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften Befragungen bei Bürgern und Rechtsanwälten durchgeführt. An dieser Kundenbefragung, die das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eigenständig organisiert und ausgewertet hat, nahmen insgesamt 778 Bürger und 404 Rechtsanwälte teil. Mit dieser Befragung sollte die Meinung derjenigen erfasst werden, die unmittelbar vorher Justizkontakt hatten.
  • Im selben Zeitraum wurden in einer breit angelegten Telefonbefragung die Meinung der Bürger und in einer Online-Befragung die Meinung der Rechtsanwälte und der Unternehmen erhoben. 1205 Bürger, 596 Rechtsanwälte und 481 Unternehmen beteiligten sich an den Erhebungen. 

Mit den Umfragen war ein externes Meinungsforschungsinstitut, das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH, betraut. Sie waren darauf gerichtet, die Ansichten der Bevölkerung, auch und gerade der nicht mit Justizangelegenheiten befassten Befragten, zu erheben. 

Beide Umfragearten haben zu repräsentativen  Ergebnissen geführt. Eine umfangreiche Auswahl der Ergebnisse aus beiden Umfragen ist seit Mai 2012 auf der Homepage des Staatsministeriums der Justiz veröffentlicht.

Zur Analyse der Umfrageergebnisse der Evaluation gerade bei der Wirtschaft fand ein strukturierter Dialog mit interessierten bayerischen Unternehmen statt. Gemeinsam mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. wurden im Oktober und November 2012 drei regionale Gesprächsforen in München, Nürnberg und Bamberg durchgeführt. Die Gespräche dienten vor allem der Ursachenforschung und der Erörterung von Abhilfemaßnahmen. 

Dabei kristallisierten sich insbesondere zwei Aspekte heraus:

  • Gewünschte Stärkung der nichtjuristischen Sachkunde der Richter, vor allem bei technisch dominierten Sachverhalten (Bauprozess, Ingenieurprozess, Wirtschaftsverfahren) und
  • die Verkürzung der Verfahrensdauer.

Viele Unternehmen wünschten sich eine Verbesserung des Grundverständnisses der Richter für technische oder wirtschaftliche Sachverhalte. Für unnötige Verfahrensverzögerungen machten die Unternehmen neben den Reibungsverlusten durch Richterwechsel und organisatorischen Fragen vor allem den Sachverständigenbeweis verantwortlich. Flankiert wurden diese Erkenntnisse durch Ergebnisse aus Gesprächen, die das Staatsministerium der Justiz im Jahr 2011 mit bayerischen DAX-Unternehmen geführt hat, um zu eruieren, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen Unternehmen andere Formen der Streitbeilegung der Justiz vorziehen. 

So wurde beispielsweise der Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit seitens der DAX-Unternehmen vor allem darin gesehen, dass überlange Verfahrensdauern vermieden, Richterwechsel ausgeschlossen und die Spruchkörper mit Spezialisten besetzt werden können. Um die im Dialog mit den Unternehmen erarbeiteten Verbesserungsansätze zu vertiefen und zur Umsetzungsreife zu bringen, wurde im Rahmen der Initiative Rechts- und Justizstandort Bayern im Dezember 2012 eine Arbeitsgruppe "Steigerung der Attraktivität des Rechts- und Justizstandortes für die Wirtschaft" eingesetzt, die sich ausschließlich diesem Thema widmet. 

Schlussfolgerungen der Evaluation

Folgende Schlussfolgerungen wurden gezogen:

1. Justizfortbildung

(1) Kooperationsgremium

Es ist wichtig und sinnvoll, den technischen und wirtschaftlichen Sachverstand "anderer" Mitglieder der Initiative Rechts- und Justizstandort in die Juristenfortbildung einzubinden. 

Um hierfür einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, wurde das "Kooperationsgremium Richterfortbildung" bestehend aus Vertretern der Kammern, der vbw, der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis sowie des Richtervereins gegründet. Das Gremium soll bedarfsorientiert Vorschläge für Richterfortbildungen, insbesondere solche mit technischem Bezug, erarbeiten und auch eine Öffnung geeigneter Fortbildungsveranstaltungen von Verbänden und Kammern für Richter ermöglichen. 

Durchgeführt wurden im Rahmen diese Kooperation bislang zwei Veranstaltungen zur Auswahl von und Zusammenarbeit mit Sachverständigen.

(2) Fortbildungspflicht

Der darüber hinaus geäußerte Wunsch nach Einführung einer im bayerischen Richtergesetz verankerten Fortbildungspflicht für Richter ist bereits erfüllt worden:  

  • Es gibt bereits eine gesetzliche Fortbildungspflicht für Richter in Bayern. So regelt Art. 66 des Leistungslaufbahngesetzes, der über Art. 1 Abs. 2 des Leistungslaufbahngesetzes auch für Richter Anwendung findet, eine Verpflichtung zur Fortbildung.
  • Eine darüberhinausgehende gesetzliche Fortbildungspflicht wäre auch unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Unabhängigkeit problematisch und kann sich im Einzelfall auch kontraproduktiv auswirken. Nach Meinung des Staatsministeriums der Justiz ist es vielmehr eine zentrale Führungsaufgabe darauf hinzuwirken, dass Beschäftigte geeignete Fortbildungsmaßnahmen in angemessenem Umfang wahrnehmen.

2. Verfahrensdauer

Die im Rahmen der Evaluation erhobenen Daten zur Dauer der Verfahren zeigen, dass die durchschnittlichen Verfahrensdauern in allen Verfahrensarten und Instanzen erfreulich kurz sind und die Erwartungshaltung der Bürger und Unternehmen an eine schnelle Justiz sogar unterschreiten. Die Tatsache, dass Bürger und vor allem die Unternehmen die bayerische Justiz in Sachen Schnelligkeit unterschätzen, kann daher nicht an den durchschnittlichen Verfahrensdauern liegen. Vielmehr beeinflussen offenbar einige wenige sehr lange dauernde Verfahren das Image der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig. 

Der Fokus der Überlegungen der dazu eingesetzten Arbeitsgruppe lag daher auf der Vermeidbarkeit langer und überlanger Verfahren im Einzelfall. Richterwechsel und sonstige Fehlzeiten sind neben verfahrensrechtlichen Umständen - wie der Einschaltung von Sachverständigen und des Prozessverhaltens der Parteien - die häufigsten Ursachen für überlange Verfahren. Die Arbeitsgruppe hat sich auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket verständigt. 

Folgende Aspekte sind dabei von besonderer Relevanz:

(1) Anreiz durch Aufnahme in die Beurteilungen

In das Initialschreiben für die nächste Beurteilungsperiode der Richter und Staatsanwälte für das Jahr 2016 wurde durch das Ministerium ausdrücklich aufgenommen, dass, sofern bei einem Beurteilten die Erledigung beträchtlicher Altverfahren festzustellen ist, dies gesondert hervorgehoben und positiv berücksichtigt werden soll.

In den Personalentwicklungsgrundsätzen für den richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst ist aufgenommen, dass eine Bewährung eines Richters in einer Spezialmaterie Grundlage für die Übertragung eines dem Anforderungsprofil entsprechenden Beförderungsdienstpostens in der Spezialmaterie oder anderen Aufgabenbereichen sein kann.

(2) Sachverständigenproblematik/Verfahren mit Sachverständigen

Die Thematik der sorgfältigen Auswahl, Führung und Anleitung der Sachverständigen soll in den Fortbildungsveranstaltungen für die Richterinnen und Richter intensiviert werden. Im Jahr 2013 Wurden daraufhin zwei entsprechende Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt. 

Um Richtern bei der Auswahl der Sachverständigen eine Hilfestellung an die Hand zu geben, wurde unter Mitwirkung erfahrener Praktiker ein Informationsblatt zur Auswahl, Führung und Anleitung von Sachverständigen erstellt. Das Informationsblatt enthält eine Reihe von wertvollen praktischen Hilfestellungen für die tägliche Arbeit einschließlich der Links zu Sachverständigenverzeichnissen. Die Tipps rund um Sachverständigenprozesse wurden bereits als Informationsblatt allen Richtern an die Hand gegeben und wurden auch in das Justizintranet eingestellt.

(3) Bauprozesse

Bauprozesse (also Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen) gehören zu den Zivilprozessen, die nicht nur im Durchschnitt besonders lange dauern, sondern spezifische Verfahrensprobleme aufwerfen.

  • Leitfaden zur Strukturierung komplexer Bauprozesse

Eine gezielte Streitanalyse und  Ablaufplanung des Gerichts zu Beginn des Prozesses kann von entscheidender Bedeutung für eine effiziente Führung des Verfahrens sein. 

So kann z.B. eine frühzeitige Einbindung von Sachverständigen, eine mit Einverständnis der Parteien durchgeführte "Abschichtung" des Streitstoffes oder aber der Vergleichsvorschlag eines erfahrenen Kammer/Senatsvorsitzenden oftmals dazu beitragen, das Verfahren straff und zügig durchzuführen. Umgekehrt lehrt die Erfahrung, dass in diesem Sinne "ungesteuerte" Verfahren, in deren Verlauf umfangreiche Beweisaufnahmen von wechselnden Berichterstattern veranlasst werden, häufiger außer Kontrolle geraten, mit allen bekannten negativen Folgen für die Verfahrensbeteiligten und die Justiz in der Öffentlichkeit. 

Eine aus erfahrenen Richtern, Rechtsanwälten und Sachverständigen bestehende Arbeitsgruppe hat in Kooperation mit erfahren Baurichterinnen und -richtern und unter Beteiligung von Vertretern der Bauwirtschaft einen Leitfaden zur Strukturierung komplexer Bauverfahren erarbeitet. 

Dieser Leitfaden greift drei Faktoren, die Qualität und Dichte von Bauprozessen maßgeblich beeinflussen, auf 

  • die fachliche Vorbildung und Erfahrung des prozessleitenden Richters,
  • einen auf den Einzelfall zugeschnittenen Prozessablauf sowie
  • die klare und konsequente Kommunikation zwischen den Prozessbeteiligten. 

Als zentrales Instrument der Prozessförderung und Kern einer aktiven Prozessleitungsstrategie wird dabei ein strukturierendes Vorgespräch vorgeschlagen, das das Gericht mit den Prozessbeteiligten vor dem Eintritt in das streitige Verfahren führt. Dieses soll der Aufklärung des Sachverhalts/des Verfahrensgegenstands, der „Abschichtung“ des Streitstoffs und der Festlegung eines Prozesskonzepts dienen. 

Der Leitfaden wurde nach einer Erprobungsphase und einer anschließenden Endabstimmung der gerichtlichen und anwaltlichen Praxis und weiteren interessierten Kreisen im Juli 2015 bekannt gemacht. 

  • Rechtspolitische Vorhaben

Parallel zu den in eigener Zuständigkeit auf den Weg gebrachten Maßnahmen ist im Justizministerium ein "Maßnahmenbündel" erarbeitet worden, das durch rechtspolitische Vorhaben eine Verbesserung der Situation zu erreichen versucht. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen ist eine Änderung gesetzlicher Regelungen erforderlich. 

Es handelt sich dabei um folgende konkrete Maßnahmen:

  • Ermächtigung der Landesregierungen zur Einrichtung spezialisierter Baukammern. Durch Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes sollen die Landesregierungen ermächtigt werden, bei den Landgerichten Kammern für Bau- und Architektensachen einzurichten. Dadurch wird auch eine Stärkung des Kammerprinzips in Bausachen erreicht. Gerade in Bausachen, in denen der technische Sachverstand der entscheidenden Richter eine große Rolle spielt, kann es zur Beschleunigung der Verfahrensführung angezeigt sein, den Rechtsstreit zumindest zunächst vor der Kammer zu belassen und eine Einigung zu versuchen bzw. den Streitstoff auf die wesentlichen Fragen zu konzentrieren. Im Falle der Einrichtung von Spezialkammern ist für alle eingehenden Klagen zunächst die Kammer zuständig. Ohne Spezialkammern ist dagegen sogleich die Zuständigkeit des originären Einzelrichters gegeben.
  • Ausschluss der Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen in Bausachen (dadurch soll vermeintlich missbräuchlichen Verweisungsanträgen ein Riegel vorgeschoben werden).
  • Ermöglichung einer Eins-zu-Eins-Besetzung bei einer Stärkung des Kammerprinzips

Ermöglichung einer Eins-zu-Eins-Besetzung bei einer Stärkung des Kammerprinzips

  • Ermöglichung einer Eins-zu-Eins-Besetzung bei einer Stärkung des Kammerprinzips

Sollte in Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen das Kammerprinzip gestärkt werden, so soll den Zivilkammern die Möglichkeit eröffnet werden, ohne Zustimmung der Parteien die Sache vor einen verkleinerten Spruchkörper, der aus den Vorsitzenden und einem weiteren Richter der Kammer bestehenden Spruchgruppe zu verhandeln.

  • Frühzeitige Einbindung des Sachverständigen in das Verfahren

Bereits heute besteht die Möglichkeit, vor dem Erlass eines Beweisbeschlusses einen Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden, um das Parteivorbringen in technischer Hinsicht näher aufzuklären, Vergleichsgespräche mit Hilfe des Sachverständigen zu führen oder den Streitstoff für die weitere Bearbeitung "abzuschichten". 

Es wird aber von diesen Möglichkeiten deshalb wenig Gebrauch gemacht, weil die Frage des Kostenvorschusses nicht eindeutig geregelt ist. Insoweit ist angedacht, in diesen Fällen eine Kostenvorschusspflicht einzuführen. 

Das StMJ setzt sich auf Bundesebene in verschiedenen Gremien für eine Umsetzung dieses Maßnahmenpakets ein. Eine Bundesratsinitiative wird derzeit zurückgestellt, da es unter den Ländern keine ausreichende Unterstützung für dieses Vorhaben gibt.