28. Juni 2019 - Fachtagung "Entschuldung durch Beratung"

Am 28. Juni 2019 fand im Münchner Justizpalast eine vom Förderverein Initiative Rechts- und Justizstandort Bayern e.V. organisierte Fachtagung zum Thema „Entschuldung durch Beratung“ statt. In der Begrüßung stellten Professor Dr. Frank Arloth (Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz), Professor Dr. Christoph Becker (Universität Augsburg, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Zivilverfahrensrecht, Römisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte) und Diakon Hendrik Lütke (Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern) das Ziel der Veranstaltung dar: Ein erstes gemeinsames Gespräch zwischen allen an der Entschuldung von Menschen beteiligten Personen, um Verbesserungsmöglichkeiten im Beratungs- und Entschuldungssystem zu finden.

Erster Tagungsabschnitt – Befunde und Gründe einer Überschuldung

Beginnend wurde unter Zuhilfenahme zahlreicher Daten und Statistiken versucht, festzustellen, warum Menschen überhaupt in eine Überschuldung geraten. Ralf Pohlmann (Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, München) befasste sich speziell mit Unternehmern, obwohl hierzu – im Gegensatz zu Insolvenzgründen bei Unternehmen – keine statistischen Erhebungen vorliegen. Aus Erfahrungswerten sei jedoch zu sehen, dass neben persönlichen Gründen vor allem eine im Vorfeld fehlende oder falsche Markt-, Standort- sowie Finanzanalyse zu den größten Krisenursachen zu zählen seien.

Dies bestätigten auch Professor Ulf Groth (Institut für Weiterbildung der Hochschule Neubrandenburg) sowie Professorin Dr. Susanne Schlabs (Ostfalia HAW, Hochschule Braunschweig-Wolfenbüttel, Campus Suderburg, Sozialwissenschaft). Neben persönlichen Schicksalsschlägen wie Scheidung, Tod des Partners, Krankheit oder Arbeitslosigkeit seien gerade in wohlhabenden Regionen Geringverdiener gefährdet. Steigende Miet- und Lebenshaltungskosten könnten zu einem entscheidenden Überschuldungsfaktor werden, worauf sich Beratungsstellen und Politik bereits jetzt einstellen müssten, ebenso auf die besondere Risikogruppe der Alleinlebenden, Alleinerziehenden und Senioren. Nötig sei ein gesamtheitlicher Beratungsansatz, da Überschuldung oft nur ein Symptom tiefer liegender Probleme darstellt, die für eine nachhaltige Lösung bearbeitet werden müssten.

Dirk Stein (Bankkaufmann und Diplom-Volkswirt; Bundesverband deutscher Banken, Berlin) berichtete, welche Warnsignale Banken für eine drohende Überschuldung eines Kunden sähen, und wie sie verpflichtet seien, zu reagieren. Hier gäbe es ein sehr gutes, gesetzlich vorgesehenes Verfahren, das den Banken klare, deutliche und auch enge Vorgaben mache. Darüber hinaus hätten sie sich selbst in Gesprächen mit der Politik verpflichtet, freiwillig noch früher als gesetzlich vorgesehen warnend auf die Kunden zuzugehen, um das gut funktionierende System noch zu verbessern.

Zweiter Tagungsabschnitt – Arbeitsweisen der Schuldnerberatung

Folgend sollten Arbeitsweisen der Schuldnerberatung aufgezeigt werden. Ursula Weser (Diplom-Sozialpädagogin, Diakonisches Werk Fürth) stellte dar, wie in ihrer Dienststelle eine Beratung vom Erstkontakt bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens gestaltet ist. Besondere Bedeutung käme dabei der Ganzheitlichkeit zu, da nur eine Erfassung der gesamten Problemlage eine nachhaltige Wirkung verspreche und die Vermittlung weiterer Hilfsangebote ermögliche. Zentral für weitere Maßnahmen seien dann der Überblick über die finanzielle Situation und der Kontakt zu den Gläubigern.

Klaus Hofmeister (Diplom-Sozialpädagoge, Landeshauptstadt München) stellte die zur Beratung nötigen Finanzierungsgrundlagen und Kapazitäten in Bayern dar. Die staatliche Finanzierung nach den Vorschriften der SGB II und XII sei noch nicht ausreichend. Es bestünde dringender gesetzlicher Regelungsbedarf, da Erwerbstätige, Kleinrentner, Bezieher von ALG I oder BAFöG-Empfänger mangels Erwähnung im Gesetz von einer kostenfreien Schuldnerberatung ausgeschlossen seien. Die Beratungsfinanzierung sei ein absoluter „Flickenteppich“, der vereinheitlicht werden müsse. Bayern sei hier mit den bisher in diese Richtung eingeleiteten Schritten Vorbild, jedoch müsse noch mehr getan werden.

Dr. Matthias Hofmann (Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, München) legte dar, wie wichtig die Kooperation eines Schuldners, im speziellen eines insolventen Unternehmers, sei, um die bestmögliche Lösung für alle Beteiligten zu finden. Die gesetzlich vorgeschriebene und mit Maßnahmen bis zur Beugehaft durchsetzbare Kooperationspflicht im Insolvenzverfahren reiche nicht; ein selbstständiges Tätigwerden, vor allem möglichst frühzeitigte Kommunikation, könnte möglicherweise sogar die Insolvenz abwenden. Schuldnerberater und Anwälte als Schnittstelle zwischen Schuldner und Gläubiger müssten die fehlende Kommunikation zumindest zum Teil ersetzen.

Gerade jene Kommunikation erläuterten Christian Maltry (Diplom-Sozialpädagoge, Landratsamt Main-Spessart, Karlstadt; Arbeitskreis Inkasso Watch) und Ulrich Jäger (Ass. iur., Justitiar, Seghorn Inkasso GmbH, Bremen). Maltry stellte dar, welche Erfahrungen die Beratungsstellen mit Gläubigervertretern machen würden. Er beklagte dabei vor allem, dass einzelne Inkassounternehmen und Kanzleien, die massenhaft Inkassoverfahren betreiben, in der Zusammenarbeit oftmals schwierig seien, da die Qualität der Unterlagen vielfach schlecht und viele Forderungen gar nicht berechtigt seien. Die Bereitschaft zur außergerichtlichen Einigung sei dort viel zu gering ausgeprägt. Demgegenüber stellte Jäger die Sichtweise eines Inkassounternehmens auf die Schuldnerberater dar, wobei sich deutliche Überschneidungen in der Arbeitsweise erkennen ließen. Es gäbe aber leider nicht seriös und sinnvoll arbeitende Unternehmen und Kanzleien, aber auch falsch agierende Schuldnerberater, die allesamt das System schädigten und die seriös arbeitenden Stellen in Verruf brächten. Eine vertrauensvolle, transparente, vorurteilsfreie und für beide Seiten positive Zusammenarbeit, die den kostensparenden Abschluss außergerichtlicher Einigungen als Ziel haben müsse, sei unbedingt anzustreben.

Abschließend zu diesem Themenkomplex erläuterte Dirk Stein nochmals die Vorgehensweise der Banken, wenn der Kunde bereits überschuldet sei. Hier könnten über Pfändungsschutzkonten, Stundungen und außergerichtliche Schlichtungen zwischen Kunde und Bank oftmals gute Mittel bereitgestellt werden, um einen Ausweg aus den Schulden zu ermöglichen.

Dritter Tagungsabschnitt – Schlussfolgerungen und Fazit

Guido Stephan (Insolvenzrichter a.D.; „Stephan-Kommission“, Reinheim) befasste sich mit den Vorteilen einer außergerichtlichen Einigung. Kostenersparnis sei dabei nur einer von mehreren, denen leider viel zu wenige tatsächlich getroffene außergerichtliche Einigungen gegenüberstünden. Rechtliche Regelungen zum Verfahren würden fehlen, bereits bekannte Verbesserungsmöglichkeiten nicht umgesetzt, eine arbeitsintensivere außergerichtliche Einigung weniger gut vergütet als ein gerichtliches Verfahren; eine sinnvolle Möglichkeit für alle Beteiligten würde ohne Nachbesserungen sträflich versäumt.

Arno Blechschmid (Abteilungsleiter; Versicherungskammer Bayern, München) berichtete, dass fehlende Kommunikation seitens der Kunden leider oft dazu führe, dass der Zeitpunkt für eine einfache Lösung verstrichen sei. Er appellierte an alle, umzudenken, und von dem negativen Begriff des „Schuldners“ hin zu dem eigentlichen Status als „Kunden“ zu gelangen, der derzeit ein Problem habe, das man mit ihm gemeinsam lösen möchte.

In seinem Fazit stellte Professor Dr. Becker dar, dass die Vorträge gezeigt hätten, dass eine fachübergreifende Leistungsfähigkeit im Bereich der Schuldnerberatung gegeben ist, aber noch gestärkt werden müsse. Man müsse verstärkt versuchen, den Menschen bei der Bewältigung ihrer Schicksale zu helfen und ihnen Perspektiven zu geben, bevor es den Gang in das Insolvenzverfahren benötige. Nötig sei eine stabile Finanzierung sowie bessere, intensivere Abstimmung zwischen den Beteiligten auf den verschiedenen Seiten. Man habe gesehen, dass durchaus gleiche Ziele und ähnliche Arbeitsweisen bei Beratungsstellen, Wirtschaft und Banken vorhanden seien; diese müssten konsequent genutzt, die Schnittstellen besser verknüpft werden. Die Tagung solle daher nur der Auftakt sein zu weiteren, Verbesserungen anregenden Gesprächen.